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Autor Thema: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum  (Gelesen 7979 mal)

Normschliff

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Da Hyperion Interesse angemeldet hat, beschreibe ich hier, wie ich eine Funktion bestimmt habe, die das Wachstum von Kristallen bei der Verdunstungsmethode beschreiben soll. Das Experiment habe ich für Ammoniumkobaltsulfat durchgeführt, hier ist mein Thema dazu. Gleich vorweg: Die Berechnung mit diesem Ansatz wird so auswändig, dass man sie auf diese Weise kaum ohne die Hilfe des Computers durchführen kann.

Rahmenbedingungen
Zunächst wurde die Masse des wachsenden Einzelkristalls an 11 unterschiedlichen Zeitpunkten bestimmt, die etwa einen Tag auseinander lagen. Der Kristall wurde mit einem einigermaßen fusselfreien Tuch abgewischt und dann gewogen (Ablesbarkeit der Waage: 0,01 g). Es wurden Zeitpunkt der Wägung und Masse des Kristalls notiert. Dann wurde der Kristall wieder bis zum nächsten Wiegen in die Lösung gegeben. Mitgewogen wurde der Faden, an dem der Kristall wächst, und der Draht, an dem der Faden befestigt ist.

Vorarbeit
Anschließend wurde zu jedem der Zeitpunkte, zu denen gemessen wurde, die Anzahl der Stunden bestimmt, die seit Beginn des Kristallwachstums vergangen waren (Zeitpunkt 0 = erste Wägung). Das geht z.B. leicht mit einem Tabellenkalkulationsprogramm, wenn man in die erste Spalte Datum und Uhrzeit eingibt (Spaltenformat: Datum von der Art "15.06.2009 18:30:00"). In der nächsten Spalte bildet man dann die Differenzen der Einträge mit der Formel "=A2-$A$1" und füllt nach unten aus. Die Ausgabe erfolgt in Stunden.

Mathematischer Teil - Ausgangssituation
Nun der mathematische Teil: Wir haben zu jeder durchgeführten Wägung die Zeit in Stunden seit Beginn des Experiments. In meinem Fall macht das 11 Tupel, wobei ich die Zeit in der ersten, die Masse in der zweiten Komponente eintrage. Dadurch erhielt ich folgende Tupel:

(0, 0,26)
(24,5, 0,27)
(48, 0,29)
(72,5, 0,34)
(96, 0,4)
(119 + 1/3, 0,48)
(143 + 1/6, 0,58)
(149, 0,61)
(172, 0,73)
(194, 0,86)
(214 + 2/3, 0,97)

Mathematischer Teil - Grundüberlegungen
Gesucht ist nun eine Kurve, die möglichst genau durch die bereits bestimmten Punkte von oben geht und auch den Verlauf darüber hinaus beschreibt. Gerade der letzte Punkt macht die Sache nicht ganz einfach. Ich hatte folgende Überlegung zur Masse-Änderung angestellt, d.h. zum Wachstum der Kristalle. Es geht also um die Ableitung der gesuchten Massefunktion, denn die Ableitung des Bestands (Masse) ist die Bestandsänderung (Masse-Änderung):
  • Das Wachstum der Kristalle ist begrenzt, z.B. durch die Menge an Flüssigkeit, die verdunstet.
  • Das Kristallwachstum wird am Anfang deutlich kleiner sein als diese Grenze, weil der Kristall noch sehr klein ist und deshalb mit seiner kleinen Oberfläche gar nicht das ganze "überschüssige Salz" aufnehmen kann.

Die Wachstumsfunktion wird also in etwa so aussehen wie die Umkehrfunktion zum Tangens, der Arkustangens:

* 00.png (9.61 KB . 700x416 - angeschaut 609 Mal)
f(x) = arctan(x)

Für uns ist nur der Teil für x>0 interessant. Ich habe den negativen Bereich mit angegeben, damit man sich die Funktion besser vorstellen kann. Ein paar Dinge sind hier allerdings noch nicht berücksichtigt worden:

  • Die Masse des Kristalls beginnt nicht bei 0, sondern in meinem Fall bei 0,26. Die ganze Funktion muss also ein Stück nach oben verschoben werden.
  • Genauso könnte es sein, dass das Wachstum in Wirklichkeit flacher anfängt als in obigem Bild und eine gewisse Anlaufphase braucht, d.h. die Funktion muss ein Stück nach rechts verschoben werden.
  • Der Arkustangens hat obere Schranke Pi/2, also ca. 1,5 - aber wer sagt, dass das die Grenze für die Massenzunahme in unserem Fall ist? Man wird also die Funktion nach oben / unten zusammenstauchen oder dehnen müssen, damit das tatsächliche Wachstum möglichst exakt beschrieben wird.
  • Es könnte sein, dass der recht "sanfte" Anstieg des Arkustangens das Kristallwachstum nicht richtig beschreibt, der Anstieg von der unteren zur oberen Grenze müsste vielleicht abrupter gehen - oder umgekehrt.

Daher ändern wird nun diese Grundfunktion wie folgt ab. Es werden Parameter a, b, c, d eingeführt, die später vom Computer so angepasst werden, dass die Ergebnis-Funktion möglichst genau zu den Messwerten passt.

Verschiebung nach links / rechts:

* 01.png (9.68 KB . 700x416 - angeschaut 614 Mal)
f(x) = arctan(x + c)
Hinweis: Die Verschiebung nach links und rechts ist derjenige Schritt, der die ganze Sache später so kompliziert macht. Denn wegen diesem Summand kann nur schwer eine Stammfunktion angeben kann.

Verschiebung nach oben / unten:

* 02.png (9.69 KB . 700x416 - angeschaut 607 Mal)
f(x) = arctan(x + c) + d

Wachstumsgrenze höher / niedriger:

* 03.png (11.33 KB . 700x416 - angeschaut 652 Mal)
f(x) = a * arctan(x + c) + d

Wachstum sanfter / abrupter:

* 04.png (11.46 KB . 700x416 - angeschaut 611 Mal)
f(x) = a * arctan(b*x + c) + d

Die Funktion f ist die Ableitung der gesuchten Massefunktion. Wir bilden also eine Stammfunktion F (die Massefunktion selbst) zu f und bestimmen die Parameter a, b, c, d so, dass die (in meinem Fall 11) Messpunkte möglichst auf dem Graphen von F liegen. Ich erspare euch die genaue Gestalt der Stammfunktion, sie sieht nicht schön aus ;-).

Mathematischer Teil - Optimierung
Die Abstand zwischen der y-Koordinaten jedes Messpunkts und dem Funktionswert von F an derselben Stelle soll möglichst gering sein, denn dann stimmen beide gut überein.

Nehmen wir an, ich schlage konkrete Werte für a, b, c, d vor und möchte nun prüfen, ob diese besser sind als andere Werte, die ich vorher ausprobiert habe. Wir brauchen eine Maßzahl, die uns angibt, die gut unsere Wahl von a, b, c, d ist. Je näher die Zahl an 0 ist, desto besser, je größer sie ist, desto schlechter. Ich habe dazu die Summe der Quadrate der vertikalen Abstände benutzt, weil durch das Quadrieren kleine Werte begünstigt werden (das Quadrat von Zahlen <1 ist kleiner als die Zahl selbst) und große bestraft werden (das Quadrat von Zahlen >1 ist kleiner als die Zahl selbst). Wenn wir also Messpunkte (t1, m1), ..., (tn, mn) haben, dann soll folgende Summe möglichst klein sein:

(m1 - F(t1))2 + ... + (mn - F(tn))2

Wir suchen die Werte für a, b, c und d, für die das der Fall ist. Wenn wir sie haben, brauchen wir sie nur noch in die Stammfunktion einzusetzen und erhalten als Ergebnis die Massefunktion:

F(x) = 0,0148515 * arctan(0,00299613x + 0,328413)x - 0,00507093x - 0,0000444971 (55699 * ln(8,97682*10-6x2 + 0,00196794x + 1,10786) - 36584,6 * arctan(0,00299613x + 0,328413))

Die Berechnung konnte ich nur numerisch durchführen (habe also keine exakten Ergebnisse erhalten, nur Dezimalzahlen). Der Graph und die Messpunkte sehen dann so aus:

* 05.png (16.49 KB . 700x443 - angeschaut 612 Mal)
Man sieht, dass Massefunktion und Messwerte sehr gut zueinander passen, der gemittelte quadratische Fehler beträgt nur 0,0000199766 ("Gramm").

Dass die ersten Messpunkte und F so gut übereinstimmen ist ein gutes Ergebnis, aber es bleibt abzuwarten, ob das Wachstum auch im späteren Verlauf gut durch die Funktion beschrieben wird. Ich denke aber, dass das zugrunde liegende Modell sinnvoll gewählt wurde.

Ich hoffe, meine Beschreibung ist verständlich [shifty]. Andernfalls ruhig nachfragen :-).
« Letzte Änderung: 16. Juni 2009, 18:17:33 von Normschliff »

PlanetScience

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Re: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum
« Antwort #1 am: 15. Juni 2009, 22:10:16 »
Hört sich gut an!

+1 zu Karma für deine Beiträge zur Kristallzucht.

Änderung: Ich glaube da ist dir ein kleiner Fehler unterlaufen: Die Bilder zu "Wachstum sanfter / abrupter" und "Wachstumsgrenze höher / niedriger" müssten vertauscht sein, denke ich.
« Letzte Änderung: 15. Juni 2009, 22:23:18 von PlanetScience »
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Hyperion

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Re: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum
« Antwort #2 am: 16. Juni 2009, 03:48:09 »
Zitat
Die Wachstumsfunktion wird also in etwa so aussehen wie die Umkehrfunktion zum Tangens, der Arkustangens:

f(x) = arctan(x)


Das verstehe ich nicht, woher kommst Du auf diese Annahme? Die anderen Werte sind normale 'scaling factors' und hier von wenig Bedeutung...wenn ich das richtig verstehe?

Man kann tausende Gleichungen an fast jeden Datensatz anpassen, aber das ist empirisch und jegliche Vorhersagen, selbst wenn sie stimmen, sind Zufall, aber nicht die mathematische/physikalische Basis des Prozesses.

Ich sehe auch nicht wie sich arctan auf folgendes bezieht (was ich zuvor geschrieben habe)- oder ueberhaupt wie hier Sinus Funktionen und dessen Derivate/Ableitungen ins Spiel kommen:

Zitat
Nun nehmen wir an, die Temperatur, und die Verdampfungsrate sind konstant. Dh., pro Zeiteinheit y  koennen x mol auf dem Kristall abgesetzt werden.
Nehmen wir auch an, dass der Kristall ein Wuerfel ist, und das heisst, pro Kantenlaenge-Verdoppelung (der Wuerfel hat dann 23= 8-fach die Originalmasse) vergroessert sich die Kristallflaeche 4-fach (22 *6/6).
Jetzt ist aber das Problem, dass sich mehr Molekuele auf dem Kristall absetzen koennen, je groesser es wird. Dh, pro Oberflaecheneinheit auf dem Kristall ist die Absetzungsrate konstant, aber, da der Grad der Uebersaettigung (bei konstanter Verdampfungsrate, und konstanter Absetzungsrate) mit steigender Kristallgroesse immer geringer wird, kommt der Punkt wo die Absetzung genauso schnell ist wie die Verdampfung des Wassers. In anderen Worten, wenn das Kristall zu klein ist, verdampt das Wasser schneller als dass sich Molekuele auf dem kleinen Kristall absetzen koennen (deshalb bilden sich bei einer uebersaettigten Loesung anfaenglich tausende kleine Kristalle, statt ein einziges). Unter optimalen Bedingungen verdampft die Fluessigkeit genauso schnell, wie sich die Molekuele auf dem Kristall absetzen (hier bilden sich nicht mehr tausend neue Kristalle - das Hauptzuchtkristall waechst einfach munter weiter). Wenn das Kristall supergross ist, verdampft das Wasser nicht schnell genug, um alle Molekuele in der konstanten Absetzungsrate abzusetzen. Der Kristall waechst demnach nicht mehr reziprok exponentiell (das ist wohl die Funktion dahinter). Demnach gibt es optimale Bedingungen (die Verdampfungsrate faellt genauso viele Molekuele aus der Loesung aus, wie die, die sich an der Kristalloberflaeche absetzen). Wie willst Du das akurat modellieren???


Ich haette eigentlich gedacht dass hier was anderes gebraucht wird:

Nehmen wir an dass pro 60 Sekunden 1.000.000 Molekuele/cm2 abgesetzt werden. Lass uns den Grad der Uebersaettigung etc ignorieren, und wir gehen davon aus dass sich alle Molekuele auf diesem einzigen Kristall absetzen, und nat. auch dass waehrend des Experiment ein und dasselbe Gefaess verwendet werden (identische Verdampfungsrate). Ein Ausgangskristall hat eine Kantenlaenge von 100 Molekuelen, dh, eine Masse von 106 Molekuelen. Die Laenge von 100 Molekuelen entspricht magischerweise 1 millimeter (der Vereinfachung halber). Die Oberflaeche von dem Ding ist 6*1002, dh 60000 Molekuelgroessen, oder 6 mm2. Nach 60 Sekunden haben sich weitere 106 Kristalle abgesetzt, die Masse hat sich also verdoppelt, aber die Kantenlaenge ist die 3te Wurzel von 2, naehmlich 1,2599 mm. Nach insgesamt 120 Sekunden hat sich die Masse verdreifacht (also 3*106 Molekuele), und die Kantenlaenge ist die 3te Wurzel von 3 (31/3 mm). Nach 180 sek. hat sich die Masse vervierfacht, und die Kantenlaenge ist 41/3 = 1,587 mm. Dh die Masse sollte linear mit der Zeit ansteigen, SOFERN sich alle Molekule NUR auf diesem einen Kristall ansetzen. Das ist in der Praxis wahrsch. nicht gegeben, es sei denn die Loesung ist supersauber, enthaelt keine Nukleationskeime und andere Verunreinigungen. Die Kantenlaenge geht in der 3ten Wurzel im Verhaeltnis zur Masse hoch.

Irgendwann kommt der Punkt, wo die Oberflaeche des Kristalls groesser ist, als die 1.000.000 Molekuele, die pro 60 Sekunden abgeschieden werden (durch konstante Verdampfung). Wann ist dieser Punkt gekommen?
1.000.000 = n2*6  ---> (1.000.000/6)1/2 = 408.2 Molekuele Kantenlaenge (=n), oder hier 4.08 mm.

Jenseits dieses Punktes nimmt die Masse wohl weiter stetig und linear an, aber die Kantenlaengenvergroesserung wird immer kleiner, in dem selben Schema wie zuvor.


Die Probleme dieser Loesung (sofern ich keine Denkfehler eingebaut habe, es ist schon spaet) beruhen, soweit ich das sehen kann, auf der ersten Annahme - dass sich konstant 1.000.000 Molekuele/Minute/cm2 auf dem Kristall absetzen:
Ich glaube, anfangs (wenn das Kristall sehr klein ist) ist das nicht der Fall - denn der Nukleationskeim besteht darin, dass eine neue Lage im wachsenden Kristall noch nicht fertiggestellt ist. Sobald aber diese Lage komplett aufgefuellt ist, muss sich erst eine neue Lage bilden - und das braucht einen neuen Nukleationskeim. Und das ist wohl der Flaschenhals des Problems.


Ich glaube ich werde mal dieses Problem ein bisschen googlen....


Aber ich hoffe meine Gedanken warn zumindest von Interesse!


Oh, und eines noch: Bez. Deiner realen Daten:
(0, 0,26)
(24,5, 0,27)
(48, 0,29)
(72,5, 0,34)
(96, 0,4)
(119 + 1/3, 0,48)
(143 + 1/6, 0,58)
(149, 0,61)
(172, 0,73)
(194, 0,86)
(214 + 2/3, 0,97)

Ist das die insgesamte Masse von t=0 an, oder ist das die Massendifferenz zwischen den verschiedenen Messzeiten?
Ich denke wohl ersteres. Die Anfangsphase (bis 143) ist nicht linear, aber danach soweit schon - es wird sich zeigen ob der Prozess weiter stetig und linear voranschreitet! Aber gut aufpassen dass sich nicht Kristalle woanders im Gefaess bilden! Temperatur etc auch konstant halten (im Sommer nat schwierig) - hmm irgendwie glaube ich, im Heimlabor laesst sich das schwer testen :(

Hyperion

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Re: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum
« Antwort #3 am: 16. Juni 2009, 03:59:13 »
Ein letzter Gedanke: Die beste Loesung, um das Ausscheiden von anderen Kristallen (ausser dem gewollten Zuchtkristall) zu vermeiden, ist, einfach ein Gefaess mit einer kleinen Oeffnung zu verwenden: Die Loesung verdampft langsam, und die ausscheidbaren Molekuele setzen sich hoffentlich nur auf dem gewollten Kristall ab. Natuerlich bedeutet das langsames Kristallwachstum, aber zumindest ist die Kristallmasse des Zuchtkristalls direkt eine Funktion der Verdampfungsrate, und demnach sollte die Annahme der konstanten Absetzung von Molekuelen pro Zeiteinheit pro Oberflaeche korrekt sein.

Normschliff

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Re: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum
« Antwort #4 am: 16. Juni 2009, 18:56:11 »

Änderung: Ich glaube da ist dir ein kleiner Fehler unterlaufen: Die Bilder zu "Wachstum sanfter / abrupter" und "Wachstumsgrenze höher / niedriger" müssten vertauscht sein, denke ich.
Ist korrigiert.

Das verstehe ich nicht, woher kommst Du auf diese Annahme? Die anderen Werte sind normale 'scaling factors' und hier von wenig Bedeutung...wenn ich das richtig verstehe?


Das habe ich im darüber stehenden Absatz zu begründen versucht:
  • Das Wachstum der Kristalle ist begrenzt, z.B. durch die Menge an Flüssigkeit, die verdunstet.
  • Das Kristallwachstum wird am Anfang deutlich kleiner sein als diese Grenze, weil der Kristall noch sehr klein ist und deshalb mit seiner kleinen Oberfläche gar nicht das ganze "überschüssige Salz" aufnehmen kann.

Vielleicht kann ich es so etwas verständlicher machen:
Die Wachstumsfunktion muss nach oben hin beschränkt sein, die Grenze ist die Menge an Salz, die wegen der Verdunstung von Wasser nun nicht mehr in Lösung bleiben kann. Sie nähert sich an die Grenze langsam an, erreicht sie aber nie, weil sich ja niemals jedes zur Verfügung stehende Molekül am Kristall absetzen wird*. So sieht ja auch der rechte Arm des Arkustangens aus. Dass ich mich jetzt gerade für diese Funktion entschieden habe ist willkürlich. Man hätte auch andere Funktionen nehmen können, die diese Gestalt haben, aber ich kenne spontan keine, mit der die Berechnung durchführbar wäre.

(*) Man kann auch zurecht ein Modell vorschlagen, in dem man annimmt, dass sich ab einem gewissen Punkt alle Moleküle an unserem Kristall absetzen. Das würde hier aber keine Vereinfachung darstellen, im Gegenteil. Deshalb gehe ich hier von einer langsamen Annäherung aus. So ist das bei einem Modell - man muss oft gewisse Aspekte vernachlässigen, damit das Problem mit den vorhandenen Mitteln oder überhaupt gelöst werden kann. Das führt dann dazu, dass das Modell das Verhalten des Systems nur innerhalb gewisser Grenzen beschreibt und darüber hinaus keine sinnvollen Werte liefert. Das Ziel ist natürlich, möglichst weitreichend Aussagen machen zu können.

Vielleicht steht das deinem Verständnis im Weg: Wir gehen einfach von unterschiedlichen Modellen aus. Dein Modell mit der Oberfläche hat auch seine Daseinsberechtigung, aber ich wüsste einfach nicht, wie man die Berechnung auf diese Art durchführen könnte. Auch wenn es vielleicht näher an dem ist, was man sich beim Kristallwachstum vorstellt, so muss es trotzdem nicht die besseren Ergebnisse liefern oder überhaupt zu einer Lösung führen. Allein schon die Berechnung der Oberfläche ist gar nicht so leicht: Schließlich sieht ja nicht jeder Kristall gleich aus. Man müsste tatsächlich die Kantenlängen des Kristalls ausmessen usw., und das bei einem Kristall in der Größenordnung von nur wenigen Millimetern. Das hört sich für mich in der Praxis nicht erfolgversprechend an. Aber ich bin auch kein Gott auf diesem Gebiet ;-).

Dass sich im Zuchtgefäß auch andere Kristalle bilden und den Wachstumsprozess stören ist richtig. Die Öffnung des Gefäßes zu verkleinern kommt für mich aber nicht in Frage, weil ich hauptsächlich auf die Kristalle aus bin, die Messung ist eher Nebensache. Abgesehen davon: Zögert eine Verkleinerung der Öffnung das Entstehen anderer Kristalle nicht nur hinaus? Mein Kristall wächst dadurch auch langsamer, d.h. es wurde eigentlich nichts gewonnen (?).

So wie ich das sehe, stellen andere Kristalle im Gefäß für mein Modell aber kein Hindernis dar (bin mir da aber nicht so sicher). Dadurch ist nur die obere Grenze der Wachstumsfunktion kleiner als sie es sonst wäre. Der Fall ist nun auch schon eingetreten, es befinden sich Kristalle im Gefäß. Wenn ich sie allerdings entnehme ist das ein Problem, weil dann die Wachstumsgeschwindigkeit sprunghaft ansteigt. Die dafür notwendige Unstetigkeit kann man mit  dem Arkustangens aber nicht darstellen. Ich weiß noch nicht, wie ich es machen soll. Erst einmal bleiben die zusätzlichen Kristalle im Behälter. Bei plötzlichem Ausfallen anderer Kristalle aus der Lösung würde sich ein Problem ergeben, weil dann die Wachstumsgeschwindigkeit unstetig sinkt.

Ich denke ich werde deshalb die weiteren Kristalle erst einmal in der Lösung lassen, auch wenn das auf Kosten der Wachstumsgeschwindigkeit geht. Ansonsten nehme ich mir ja die Möglichkeit, zu prüfen ob die Methode hier stimmt.

Ich habe jetzt nicht die Energie, deine Berechnungen mit der Kantenlänge usw. nachzuvollziehen, nimm's mir nicht übel. Ich sitzte jetzt schon zu lange an diesem Beitrag und brauche dringend meinen Feierabend.

Ich glaube ich werde mal dieses Problem ein bisschen googlen....
Ich habe dazu noch gar nicht recherchiert, habe mir nur die Gedanken oben gemacht.

Ist das die insgesamte Masse von t=0 an
Ja.

Ich denke wohl ersteres. Die Anfangsphase (bis 143) ist nicht linear, aber danach soweit schon
Das ist nicht ganz richtig, die Funktion ist nirgends linear und wird auch nirgends durch eine Gerade beschrieben. Sie näher sich aber im späteren Verlauf einer Geraden an - eben derjenigen Geraden, die man wie folgt erhält (theoretisch):

Sei m die Masse an Salz, das (z.B. pro Stunde) wegen Verdunstung von Wasser nicht mehr gelöst sein kann und deshalb ausfällt oder sich am Kristall abscheidet. Die allgemeine Stammfunktion dazu ist o.g. Gerade, beschrieben durch die Gleichung y = m*x + c, c muss passend gewählt werden (wie genau will ich jetzt nicht ausklamüsern).



Nachtrag: Ich habe heute noch einmal gewogen und festgestellt, dass das Kristallwachstum drastisch zurückgegangen ist, höchstwahrscheinlich weil Kristalle ausgefallen sind. Ich habe deshalb die weiteren Kristalle durch Dekantieren entfernt. Das wird leider auf jeden Fall dazu führen, dass die Ergebnisse nicht mehr optimal sind.
« Letzte Änderung: 17. Juni 2009, 16:32:35 von Normschliff »

Normschliff

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Re: Bestimmung einer Masse-Entwicklungs-Funktion für Kristallwachstum
« Antwort #5 am: 23. Juni 2009, 20:51:48 »
Ich habe jetzt den Teil, den ich letztes Mal übergangen habe, auch durchgelesen. Dazu folgendes:

Ein Ausgangskristall hat eine Kantenlaenge von 100 Molekuelen, dh, eine Masse von 106 Molekuelen.

Du gehst also davon aus, dass der Kristall die Form eines Würfels hat (?). Das ist allerdings (zumindest bei mir) nicht der Fall. Da die Form eines Kristalls bei jedem Experiment zumindest leicht variiert, wollte ich eine Methode wählen, die davon unabhängig ist.

Dh die Masse sollte linear mit der Zeit ansteigen, SOFERN sich alle Molekule NUR auf diesem einen Kristall ansetzen. Das ist in der Praxis wahrsch. nicht gegeben,...
Die Praxis zeigt aber, dass das Wachstum nicht linear ist. Dein Modell vereinfacht zu stark und beschreibt den Sachverhalt deshalb nicht genau genug. Mein eigenes Modell hat allerdings auch versagt:

Wie oben bereits beschrieben sind weitere Kristalle aus der Lösung ausgefallen. Um es kurz zu machen: Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kristalle ausgefallen sind, wurde das Wachstum gut beschrieben. Ab diesem Zeitpunkt war mein Modell aber nicht mehr zu retten. Ich habe bei meinem Modell eben auch zu stark vereinfacht. Trotzdem war das Experiment (für mich) nicht umsonst, ich habe etwas dazu gelernt:

Während der Kristall in der Lösung noch klein ist, kann er nicht soviel Salz aufnehmen, wie aufgrund der Verdunstung zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass die Übersättigung der Lösung weiter und weiter ansteigt. Dadurch erhöht sich die Geschwindigkeit des Kristallwachstums. Das geht gut bis zu einem gewissen Punkt, an dem die Übersättigung so groß ist, dass Kristalle aus der Lösung ausfallen. Ab diesem Zeitpunkt kann Salz an alle Kristallen im Gefäß abgegeben werden, sodass der Grad an Übersättigung stark zurückgeht. Dadurch sinkt die Wachstumsgeschwindigkeit des Einzelkristalls, dessen Masse regelmäßig bestimmt wird, auf einen recht kleinen Wert. Werden dann die unerwünschten Kristalle durch Dekantieren entfernt, steigt die Übersättigung wieder langsam an und ebenso die Wachstumsgeschwindigkeit.

Das lese ich zumindest aus meinen Messwerten heraus: Nach dem Ausfallen von Kristallen ist die Wachstumsgeschwindigkeit auf einen kleinen Wert gesunken, seit dem Dekantieren steigt sie wieder - vermutlich so lange, bis wieder ein kritischer Wert erreicht ist und erneut Kristalle ausfallen.