Neuigkeiten: Verwende die Einladen-Funktion, um Interessierte auf das Forum aufmerksam zu machen.

  • 27. April 2024, 13:54:40

Einloggen mit Benutzername, Passwort und Sitzungslänge

Autor Thema: Kompressorkühlung fürs Heimlabor  (Gelesen 10040 mal)

Stefan

  • Gast
Kompressorkühlung fürs Heimlabor
« am: 12. Mai 2011, 22:05:22 »
Ich stelle hiermit meine neueste Bastelei vor: ein Einhängekühler, mit dem man Kühlbäder auf bis zu -40°C herunterkühlen kann und der im Gegensatz zum sperrigen Kryostaten auf dem Labortisch Platz findet.
Dieses Gerät soll die allseits bekannte und unbeliebte Eis-Kochsalzmischung und die Vorrätighaltung von Eiswürfeln fürs Heimlabor überflüssig machen.

Kommerziell erhältliche Einhängekühler gibt es von z.B. Lauda oder Julabo, neu ab etwa 2000 Euro, und drin ist nicht mehr Technik als in jeder Gefriertruhe (Ausnahme: Eintauchkühler mit zweistufigem Kühlsystem die auf -80°C und noch tiefer kühlen können).
Das kann man für rund ein Viertel dieses Geldbetrages auch selberbauen- und an meinem System sind alle Teile neu gekauft, nichts ist vom Schrott. 

Die Idee dazu hatte ich von Seiten wie www.extremecooling.de , wo sehr interessante Eigenbau-Kältemaschinen zur PC-Kühlung vorgestellt werden.
Das Vorbild, von dem ich einige Ideen übernommen habe: http://www.extremecooling.de/forum/content/47-DIY-Phase-Change-by-ice-man-English
Das Forum ist sehr lesenswert und voll von nützlichen Infos zur Kältetechnik und Bildern von Eigenbauten: http://www.extremecooling.de/forum/forum.php
Der "sowas will ich auch bauen!"-Faktor dieses Forums war für mich geradezu unwiderstehlich. ;-)

Die Komponenten sind auf eine Holzplatte geschraubt:

* Koku_1.jpg (70.68 KB . 600x450 - angeschaut 2679 Mal)
Das Teil ganz rechts mit dem blauen Lüfterhalter ist ein 0,72kW Rivacold-Verflüssiger, in welchem der komprimierte Kältemitteldampf unter Wärmeabgabe flüssig wird. Den Lüfter habe ich mithilfe eines Dimmers in der Drehzahl regelbar gemacht, was sich als sehr vorteilhaft erwies.
Vom unteren Anschluss geht ein Steigrohr zum Schauglas und von dort weiter zum Filtertrockner (das dicke kupferne Teil), welcher 30g Molekularsieb 3A enthält. An den Filtertrockner schließt sich das Kapillarrohr an (Länge 380cm, Innendurchmesser 0,8mm), welches als Drosselorgan wirkt und das flüssige Kältemittel wohldosiert auf die Niederdruckseite durchlässt.
Das Kapillarrohr ist im Innern der flexiblen Edelstahl-Saugleitung verlegt und spritzt das Kältemittel in die Verdampferspirale ein.

Der Kompressor:

* Koku_2.jpg (45.29 KB . 600x450 - angeschaut 1719 Mal)
Ein NP14FB von Cubigel (vormals ACC), welcher für den Betrieb mit R290 (Propan) ausgelegt ist und auch das entsprechende Warnsymbol trägt. Er ist mit 400ml Mineralöl gefüllt.
Die R290-Kompressoren von Danfoss sind mit dem normalerweise für fluorierte Kältemittel vorgesehenen POE-Öl (Polyolester) gefüllt, welches hygroskopische Eigenschaften hat und zur Hydrolyse unter Säurebildung neigt. Deshalb meine Entscheidung für einen Kompressor mit Mineralölfüllung, da man damit diese Probleme nicht hat.

Die Verdampferspirale, die kalte Seite des Apparats:

* Koku_3.jpg (61.94 KB . 450x600 - angeschaut 2141 Mal)
Sie ist aus 8mm Kupferrohr gebogen und mit Edelstahlwellrohr mit der Saugseite des Kompressors verbunden.
Die Kapillare ist am unteren Ende eingelötet.
Diese Spirale taucht man in das zu kühlende Bad ein.

Befüllt wurde das System mit Baumarkt-Propan aus der 11kg-Flasche:

* Koku_4.jpg (76.62 KB . 450x600 - angeschaut 2152 Mal)
Der Adapter vom Propan-Flaschenventil auf 1/4" SAE-Anschluss (Schraderventil) ist selbergelötet, denn sowas kann man nicht kaufen.
Die sog. Monteurhilfe (Prüfarmatur, das Teil mit den zwei Manometern und Ventilen) ist an die Schraderventile der Hoch- und Niederdruckseite der Apparatur angeschlossen.
Vor der Befüllung wurde das System mit einer Drehschieberpumpe gründlich evakuiert (die Pumpe wurde mehrere Stunden laufen gelassen), um Luft und Feuchtigkeit komplett zu entfernen. Der Anteil nichtkondensierbarer Gase im Kältemittel muss deutlich unter 1% liegen. Der gelbe Füllschlauch wurde mit Propan durchgespült bevor das Vakuum in der Apparatur mit Propan gebrochen und auf ca. 4 bar statisch gasförmig befüllt wurde.
Für die komplette Prozedur inkl. Abdrücken mit Stickstoff (ich habe Argon verwendet) und Lecksuche, siehe extremecooling-Forum.

Die Drücke im System während des Betriebs:

* Koku_5.jpg (56.09 KB . 600x450 - angeschaut 1737 Mal)
Aus der Dampfdruckkurve für R290 kann man die entsprechenden Kondensations- und Verdampfungstemperaturen ablesen:
http://www.extremecooling.de/forum/threads/174-K%C3%A4ltemittel-Daten-Diagramme-und-Mehr!
Auf der Saugseite habe ich ein leichtes Vakuum (-0,2 bar, also 800mbar Absolutdruck), das ist erwünscht damit das Propan bei etwas unter -42°C verdampft und ich -40°C im Kühlbad sicher erreichen kann.
Der Verdampfungsdruck und damit die Verdampfungstemperatur hängen maßgeblich von der Länge des Kapillarrohrs ab. Je länger es ist, desto weniger Kältemittel lässt es durch und desto niedriger werden Druck und Temperatur auf der Saugseite. Die Kälteleistung sinkt jedoch ebenfalls mit steigender Kapillarlänge, denn
Drehzahl und Hubvolumen des Kompressors sind konstant- wieviel er fördert hängt einzig vom Druck auf der Saugseite ab!

Die Anlage kühlt ein unisoliertes Gefäß mit 1kg Ethanol in rund 30 Minuten auf -40°C:

* Koku_6.jpg (58.36 KB . 450x600 - angeschaut 1920 Mal)
Das Kühlbad muss unbedingt magnetisch oder sonstwie gerührt werden, da ansonsten starke Temperaturschichtung auftritt (die oberen Schichten der Flüssigkeit bleiben warm, nur die unterste Schicht wird kalt).
Man kann mit dieser Anlage jederzeit, ohne erst Trockeneis kaufen zu müssen, z.B. flüssiges Ammoniak in einen Rundkolben einkondensieren, ganz ohne Sorgen dass das Trockeneis ausgehen könnte wenn man nicht schnell genug mit der Synthese fertig wird.

Die Teile für die Anlage und das Spezialwerkzeug (Monteurhilfe, Füllschläuche, Ventilkerndreher) habe ich von www.kaeltetechnik-shop.at gekauft.
Das Edelstahlwellrohr und das Schauglas ist von ebay, das Hartlot aus dem Baumarkt.
Die Kupfer-Kupfer und Kupfer-Messing-Verbindungen sind mit Phosphorhartlot gelötet, die Kupfer-Edelstahl-Verbindungen mit hochsilberhaltigem Lot (40% Ag, flussmittelummantelt).
Durch den Kauf der Kältetechnik-Werkzeuge habe ich auch die Möglichkeit, später mal eine anspruchsvollere Anlage, z.B. eine Kaskade: http://www.extremecooling.de/forum/content/45-Funktion-einer-zweistufigen-Kaskade zu bauen.
 





Phil

  • Bekannt
  • *****
  • Beiträge: 1.657
  • Karma: 35
  • Spezialist für ausgefallene Einfälle.
Re: Kompressorkühlung fürs Heimlabor
« Antwort #1 am: 13. Mai 2011, 08:33:36 »
Hallo Stefan,
Eigentlich solltest Du nun einen neuen Namen erhalten, Du müsstest Danieldüsentrieb heissen. [extase] [hooray]
Ich finde es echt toll wie Du deine Begabungen einsetzen kannst und wie Du handwerkliches Geschick hast. Ich lese Deine Beiträge immer gerne da sie einfach und gut anschaulich gehalten sind. [dance]
Ich bin schon auf Dein nächstes Projekt gespannt. [dance]
Nicht die Gewalt einiger weniger ist gefährlich, sondern das Schweigen der Masse.
Wer suchet der findet. Wer drauftritt, verschwindet. Alte Mienenregel.
Heute ist nicht alle Tage ich komm wieder keine Frage.
Die Indianer konnten die Einwanderung nicht stoppen, darum leben Sie heute in Reservaten.

Mephisto

  • Chemicus Diabolicus
  • Administrator
  • *****
  • Beiträge: 1.713
  • Karma: 0
    • Die deutschsprachige Synthesensammlung
Re: Kompressorkühlung fürs Heimlabor
« Antwort #2 am: 14. Mai 2011, 21:22:01 »
Dieser Beitrag ist auf jeden Fall der Beitrag des Monats – sehr gut zu lesen, mit den Querverweisen und sogar Tipps wie man Kupfer-Kupfer bzw. Messing lötet. +2 Karma.

Der "sowas will ich auch bauen!"-Faktor dieses Forums war für mich geradezu unwiderstehlich. ;-)

Es freut mich sich sehr, dass Du unser Forum mit Deinen extrem guten Anleitungen bereicherst. Nebenbei, so eine Kategorie "Beitrag des Monats" sollten wir vielleicht wirklich einführen :-)
"Every breath you take, Every move you make,
Every bond you break, Every step you take,
I'll be watching you" - The Police

Phil

  • Bekannt
  • *****
  • Beiträge: 1.657
  • Karma: 35
  • Spezialist für ausgefallene Einfälle.
Re: Kompressorkühlung fürs Heimlabor
« Antwort #3 am: 15. Mai 2011, 08:24:09 »
Thema des Monats? :-)
Ja warum nicht ist sicher eine gute Idee, manchmal werden die Entscheidungen aber nicht einfach sein. [denk]
Dies sollte den Mitgliedern aber auch einen Ansporn sein mit zu machen und der beste zu werden.  :-*
Habt Ihr schon mal so über den Daumen gerechnet wie fiele Berufe in dem Kryostaten vereinigt sind? [daumenhoch]
Schlosser, Kältetechniker, Engineer, Elektriker usw.  [gathering]
 
Nicht die Gewalt einiger weniger ist gefährlich, sondern das Schweigen der Masse.
Wer suchet der findet. Wer drauftritt, verschwindet. Alte Mienenregel.
Heute ist nicht alle Tage ich komm wieder keine Frage.
Die Indianer konnten die Einwanderung nicht stoppen, darum leben Sie heute in Reservaten.